Die Bombardierung von Nordhausen Teil I.

Ein Zeitzeugenbericht von Heinz Eiling, Jg 1931

In Nordhausen wurde in diesen Tagen den Luftangriffen auf Nordhausen vor 75 Jahren gedacht, bei denen 8800 Menschen ihr Leben verloren und die Stadt zu 75 Prozent zerstört wurde.

Wie ich den 3. und 4. April 1945 in Nordhausen erlebte!

Wenn ich heute, 75 Jahre nach den schweren Bombentagen auf Nordhausen meine eigenen Erlebnisse noch niederschreibe, dann in der Absicht, der Nachwelt die Erinnerung an dieses Inferno zu erhalten und zu mahnen, dass sich so etwas nicht wiederholt.

Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich als 13 jähriger Junge am 3. April von der Firma Tennecker & Sommer in der Langen Straße im Handwagen einen Sack Kohlen holte und gegen 16 Uhr der erste Bombenangriff begann. Bereits auf dem Frauenberg angelangt, musste ich in einem Haus Schutz suchen, als in der Neustadtstraße und anderen Stellen Bomben detonierten. Nach dem Angriff eilte ich nach Hause zum Petersberg, sah nach meiner Mutter, die mich umarmte und sich freute, das mir nichts passiert war.

Blick auf den Petersberg um 1938, Sammlung Iffland

Mit 13 Jahren gehörte ich den Pimpfen an und war als Melder eingesetzt. Daher lief ich schnellstens zur Zichorienfabrik an der „Schönen Aussicht“, wo sich im Keller die Befehlsstelle des Kreisleiters der NSDAP Hans Nentwig befand. Neben dem Kreisleiter waren dort auch der Oberbürgermeister Dr. Meyer und andere Funktionäre der Stadt. Hier ging es sehr hektisch zu. Mit noch anderen Jungen erhielt ich den Auftrag, sofort die Gumpe aufzusuchen, um Flugblätter zu sammeln.

Die Flugblätter mit dem Aufruf zum Widerstand gegen den Nazismus, da der Krieg für Deutschland bereits verloren sei, erreichten ihr Ziel nicht, weil die Flugblattbombe sich als Blindgänger erst am Boden geöffnet hatte. Wir konnten aber auch feststellen, dass viele Bomben freies Feld zerwühlt hatten.

Offensichtlich war durch die dichte Wolkendecke den englischen Bombern die Sicht eingeschränkt und somit ist ein Teil der Bombenlast außerhalb der Stadt niedergegangen. So blieb am 3. April das Leben vieler Menschen unserer Stadt noch verschont.

Blick zum Petersberg von der Weberstraße aus. Auf der linken Seite, 100 Meter vor der Kirche befand sich mein Elternhaus. Sammlung Iffland

Nach Erfüllung unseres Auftrages durften wir nach Hause gehen. Zu weiteren Einsätzen kam es dann nicht mehr, denn am 4. April gegen 9 Uhr begann der Großangriff. Dies für uns völlig überraschend, denn Sirenen waren nicht zu hören. Ich lag noch im Bett, als ich durch meine Mutter mit den Worten geweckt wurde: „Steh schnell auf, die Flieger brummen“. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt Besuch. Mein Vetter Herbert Gießler, Unteroffizier der Wehrmacht, und eine Bekannte, Frau Dittmann aus Erfurt, die den dortigen Fliegerangriffen entfliehen wollte, wurden in dieses Inferno hineingezogen. Sie liefen mit meiner Mutter zum Keller.

Eigentlich wollten sie zur Krankenkasse in den Luftschutzkeller, der Hauswart ließ sie aber nicht mehr passieren. Nachdem auch ich den Keller im Hinterhaus erreicht hatte, fielen bereits die ersten Bomben in unserer Nähe. Im Keller hatten sich 17 Personen eingefunden. Ich schaffte es lediglich nur noch bis zur Kellertreppe und saß auf einer der untersten Stufen, als unser Haus Petersberg 30-31 einen Volltreffer erhielt. Da verlor ich das Bewusstsein. Mit einem Schlag war das Leben von 16 Personen ausgelöscht. Bevor ich aber dazu komme, ist es mir wichtig, einige Worte über die Betreffenden zu verlieren. Hier starb die Familie Grunig mit 2 Kindern. Der Vater August war gerade als Soldat im Genesungsurlaub, bei uns starb er mit der ganzen Familie, er, seine Frau und seine zwei Kinder. Auch die Familie Fuchs mit 6 Personen kam bei uns im Keller um. Am 3. April flüchtete die Familie Fuchs in den Garten am Rossmannsbach. Aber abends gegen 23:00 Uhr kam Herr Fuchs als Soldat auf „Abstellungsurlaub zur Front“. Er holte seine Familie aus dem Garten in die Wohnung und starb mit ihr bei uns im Keller. Frau Holzapfel war 80 Jahre alt, wohnte mit ihrer Tochter im Hinterhaus. Die Tochter, mit einem Flieger verlobt, ein Oberfeldwebel aus Braunschweig, er gehörte zum Nachkommando des Fliegerhorstes Nordhausen. Sie kamen alle drei um. Die Angehörigen dieses Soldaten haben wohl nie erfahren, wie ihr Sohn zu Tode kam, denn nur ich wusste, dass er mit im Keller war. Seinen Namen habe ich jedoch vergessen. Meine Mutter, damals im 8 Monat schwanger, mein Vetter und unsere Bekannte kamen ebenfalls um.

Wie kam es, dass ich am Leben blieb. Es war reiner Zufall. Ich saß auf der Kellertreppe genau neben meiner Mutter, nur mit einem Unterschied sie saß an der Wand und ich wurde die Treppe hinaufgeschleudert. Dies wurde mir alles erst später bewusst. Als ich nach ca. 10 Stunden das Bewusstsein zurück erlangte, glaubte ich zunächst, im Bett zu liegen. Erst nach einiger Zeit wurde mir klar, was passiert war. Da ich auf der Kellertreppe in einem Hohlraum lag, konnte ich mich nach einiger Zeit selbst befreien. Als ich zwischen den zerstörten Häusern umherirrte, lief ich unserem Bäckermeister Wenckel in die Arme, der verzweifelt nach seiner ältesten Tochter und seinem Gesellen suchte.

Ungefähr die Stelle, an der sich der Eingang zu unserem Wohnhaus befand. Foto: Klaus Menge.

Bäcker Wenckel brachte mich in den Luftschutzbunker ins Gericht, wo ich medizinisch versorgt wurde. Mein Gesicht und meine Augen hatten Schaden genommen, Am nächsten Tag wurden wir aus der Stadt, nach Harzrigie in das Notlazarett transportiert. Hier hielt ich es nicht aus, denn die Ungewissheit über meine Mutter und die anderen ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich lief über die Gumpe nach Krimderode. Unterwegs traf ich in der Gumpe auf den Sohn des Schäfermeisters Schulze, Karl-Heinz Schulze, der auch ein Schulkamerad von mir war. Dieser nahm mich mit zur Schäferei wo ich etwas zu essen bekam. Da ich weiter nach Niedersachswerfen wollte, brachte er mich bis zum Kurhaus nach Krimderode, um dort für mich ein Fahrzeug anzuhalten, das mich mitnehmen sollte.

Doch kaum am Kurhaus angelangt mussten wir Schutz suchen, denn es folgte ein Angriff von 12 Moskito-Bombern. Diese warfen Ihre Bomben über dem Stadtpark ab. Eine dieser Bombe detonierte ganz in unserer Nähe auf dem Weg nach Nordhausen. Nachdem der Angriff vorüber war, half mir Karl-Heinz dabei, eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Schließlich konnte ich bei einem Soldaten auf dem Motorrad mitfahren, der mit einen militärischen Konvoi in den Harz fuhr. Da der Rücksitz mit einem Benzinkanister belegt war, musste ich auf diesen Platz nehmen.

Aufnahme der US Airforce vom 8. April 1945. Im Stadtpark und oben am Bildrand sieht man die erwähnten Bombeneinschläge vom 5. April 1945. Quelle Geoproxy Thüringen

In Niedersachswerfen angekommen, ging ich zur Schwester meiner Mutter, Else Dittmar geb. Giesdorf, die mich wie einen Sohn aufnahm. Mit ihr und ihrer Tochter Monika suchte ich Schutz im Kohnstein, wo ich auch medizinisch versorgt wurde. Mit noch tausenden anderen Bürgern aus Nordhausen, Salza, Niedersachswerfen und Umgebung wohnten wir zwischen V1 und V2 Teilen, bis am 11. April die Amerikaner das KZ Lager Dora und Nordhausen befreiten.

Erst viel später wurde für mich Gewissheit, dass meine schwangere Mutter und andere 15 Menschenleben im Keller unseres Hauses ums Leben kamen. Der Stiefvater meiner Cousine hatte Schutz in der Petrikirche gesucht und ist mit vielen anderen Nordhäusern unter dem einstürzen Kirchendach ums Leben gekommen.

Der schwerste Augenblick war für mich jedoch, als im September die Leichen unseres Hauses geborgen wurden und ich gezwungen war, sie alle zu identifizieren. Meine Mutter und unsere Verwandten (auf Besuch) fanden ihre letzte Ruhe auf dem Friedhof in Salza. Alle anderen Einwohner gelangten in Massengräber.

Einschneidende Erlebnisse verändern oft ein ganzes Leben. Für mich hat dieser Bombenangriff die Schlussfolgerung nach sich gezogen, meine ganze Kraft dafür einzusetzen, dass solch ein Krieg nie wieder ausbricht. Kriege sind nicht von Gott gewollt, sondern werden von Menschen gemacht und können demzufolge auch nur durch Menschen verhindert werden.

Neubrandenburg im April 2020
Heinz Eiling, Oberstleutnant a.D.

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